
Mitte der 1950er Jahre geht es auf deutschen Straßen gemächlich zu. Könige der Autobahn sind etwa Opel Kapitän oder Porsche 356, beide für flotte 130 Sachen gut. Von überlegenen Exotensportwagen à la Mercedes 300 SL lässt man sich notgedrungen überholen, aber ein ultraschneller Lastwagen ist ein Schock für die Chauffeure der Wirtschaftswunderzeit. Die Spukgestalt zeigt sich als nur knapp mannshoher blauer Transporter mit langem Frontüberhang, und auf der Ladefläche hockt in der Regel geduckt ein Mercedes-Grand-Prix-Rennwagen.
Doch das „blaue Wunder“ ist kein Jux übermütiger Ingenieure. Rennleiter Alfred Neubauer brauchte schlicht einen schnellen Transporter. Damit will er seine Strategien für die großen Preise flexibel halten. Beispielsweise beim Grand Prix in Monza 1955: da gibt es Probleme mit dem Fahrverhalten in der Steilkurve. Mercedes hat vier Fahrgestelle mit unterschiedlichen Radständen dabei. Im Training zeigt sich, dass der lange ideal ist. Flugs wird in Stuttgart ein weiteres Chassis gebaut und mit dem Blauen nach Norditalien gebracht.

Möglich macht das die überlegene Technik: der Sechszylinder-Motor –192 PS stark und mit Benzin-Direkteinspritzung – stammt vom 300 SL, der verlängerte Rohrrahmen vom Luxus-Coupé 300 S. Abenteuerliche 170 Stundenkilometer ist der Laster schnell. Viele Karosserieteile dagegen stammen vom braven 180er Ponton, sind aber verfeinert durch einen SL-Kühlergrill.
Nach dem Mercedes-Rückzug aus dem Rennsport gerät der Transporter in Vergessenheit und wird 1967 verschrottet. In den 2000er Jahren erinnert man sich wieder an das faszinierende Gefährt und baut eine originalgetreue Replik, die 2009 fertig ist.

Fotos: Daimler-Benz/Text: Rainer Roßbach