
1966 brachte Rolls-Royce eine zweitürige Limousinenversion des Silver Shadow auf den Markt, die vom hauseigenen Karosseriebauer Mulliner Park Ward gebaut wurde. 1969 begann das Unternehmen, über einen möglichen Nachfolger nachzudenken, und die Geschäftsleitung war der Meinung, dass sich das neue Design deutlich von der bestehenden Produktpalette unterscheiden sollte. Im Oktober desselben Jahres wurde eine Mulliner Park Ward-Limousine an den Turiner Sitz des Karosseriebauers Pininfarina geschickt. Diese Zusammenarbeit war eine radikale Abweichung vom üblichen Prozess, aber die beiden Unternehmen hatten bereits zuvor zusammengearbeitet. Pininfarina demontierte den Wagen und verwendete seine Bodenplatte als Basis für das neue Modell und es war der erste Rolls-Royce, der vollständig in metrischen statt in imperialen Maßen gebaut wurde.
Sergio Pininfarina übertrug das Projekt seinem Chefdesigner Paolo Martin, zu dessen Portfolio auch das Konzeptfahrzeug Ferrari Dino Berlinetta Competizione für die Frankfurter Automobilausstellung 1967 gehörte. In einem präzisen und detaillierten Briefing, das für die Nachwelt erhalten geblieben ist, wurden Martin und sein Team beauftragt, „ein modernes und stilvolles Automobil für den Besitzer zu entwerfen, das die traditionellen Rolls-Royce Merkmale von Eleganz und Raffinesse beibehält. Die wichtigsten Styling-Merkmale sind eine langgestreckte Form mit kantigen Oberflächen, die gut auf die klassische Form des Rolls-Royce-Kühlers abgestimmt sind. Zudem sollte die Höhe im Vergleich zum Silver Shadow geringer sein und die Breite größere, die Windschutzscheibe stärker geneigt, die Glasflächen größer und erstmals sollten bei einem Rolls-Royce gewölbten Seitenfenstern verbaut werden.
Pininfarina arbeitete eng mit den eigenen Designern der Marke zusammen. Zusammen erarbeiteten sie ein endgültiges Design, bei dem, wie sie erklärten, „der Eindruck von Leichtigkeit und Schlankheit durch die sorgfältige Formgebung der Paneele und nicht durch verchromte Verzierungen erreicht wurde. Die Außenverkleidungen und Beleuchtungselemente sind einfach gestaltet und bescheiden in ihren Abmessungen. Das Innenraumkonzept ist modern, funktionell wie ein Flugzeugcockpit und mit Präzisionsinstrumenten ausgestattet. Die Anordnung der Schalter und Bedienelemente wurde so konzipiert, dass sie leicht zu finden, unverwechselbar und präzise zu bedienen sind.

Für Mulliner Park Ward war das neue Modell ein entscheidender Test, weil es das erste völlig neue Produktionsmodell seit der Aufteilung von Rolls-Royce in einen Automobil- und einen Luft- und Raumfahrtbereich im Jahr 1971 war. Der erste Prototyp mit dem Codenamen „Delta“ war bereits im Juli 1972 auf der Straße zu sehen und nach fast drei Jahren Entwicklungszeit wurde der neue Wagen im März 1975 der Weltöffentlichkeit vorgestellt. Von zwei möglichen Namen, Corinthian und Camargue, hatte sich das Unternehmen für den letzteren entschieden. Die Pressevorstellung des Camargue fand in Catania auf Sizilien statt und dafür produzierte Rolls-Royce neun Fahrzeuge.
Das Design des Camargue umfasste breite Türen, die laut Verkaufsprospekt „einen bequemen Einstieg ermöglichen, wie er bei zweitürigen Automobilen nicht üblich ist“, und „die Rückenlehne des Vordersitzes, die sich auf Knopfdruck elektrisch entriegelt, um den Zugang zum hinteren Abteil zu ermöglichen, das über einen Sitz von außergewöhnlichem Komfort und Breite verfügt und eine ausgezeichnete Sicht bietet“.
Bei der Innenausstattung wurde zum ersten Mal ein brandneues, ultraweiches Leder namens „Nuella“ verwendet wurde. In Anlehnung an das von Pininfarina entwickelte Konzept des „Flugzeug-Cockpits“ wurde die Armaturentafel mit Schaltern und Rundinstrumenten in mattschwarzen, rechteckigen Einfassungen versehen, was dem Fahrzeug ein aeronautisches Aussehen verleiht. Der plissierte Dachhimmel und die im Vergleich zum Silver Shadow tiefer angeordneten Sitze sorgten für eine gute Kopffreiheit, während die Beinfreiheit auf den Rücksitzen für ein zweitüriges Coupé enorm war. Außerdem wurde zum ersten Mal eine zweistufige Klimaanlage in einem Rolls-Royce eingebaut. Ein 6,75-Liter-V8-Motor aus Aluminium und ein Dreigang-Automatikgetriebe trieben den Camargue an. Das Fahrwerk mit Einzelradaufhängung und automatischer Höhenverstellung sorgte für die so genannte „Magic Carpet Ride“ der Marke.
Der Camargue war der erste Rolls-Royce, der die zu dieser Zeit weltweit eingeführten strengen Sicherheitsstandards erfüllte, mit verbesserter Crash-Deformationsresistenz, energieabsorbierenden Innenraummaterialien und Sicherheitsgurten für alle vier Sitze. Die Karosserie selbst war so stabil, dass die amerikanischen Sicherheitstests für Seitenaufprall, Heckaufprall, Dachaufprall und einen Frontalaufprall mit 30 Meilen pro Stunde alle mit demselben Fahrzeug durchgeführt und bestanden wurden.
In den ersten drei Jahren wurde der Camargue im Norden Londons im Mulliner Park Ward-Werk in der Hythe Road in Willesden gebaut. 1978 wurde die Produktion in das Rolls-Royce-Werk in Crewe verlegt, wo sie bis 1987 fortgesetzt wurde. Mit nur 529 verkauften Exemplaren innerhalb von 12 Jahren ist der Camargue besonders Exklusiv und 75 Prozent der Produktion ging in die USA.

Fotos: Rolls Royce/Text: Rainer Roßbach