Christopher Herwig, Attock, Pakistan

Trucks und Tuks als Kulturgut

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Der kanadische Fotograf Christopher Herwig widmet sich in seinem neuen Buch „Trucks and Tuks“ den reich verzierten Fahrzeugen Südasiens. Nach seinen bekannten Serien über sowjetische Bushaltestellen und U-Bahn-Architektur dokumentiert er diesmal eine jahrzehntelang gewachsene Tradition des mobilen Kunsthandwerks, die zunehmend unter Druck gerät.

Herwig reiste über vier Jahre hinweg mehr als 10.000 Kilometer durch Indien, Pakistan und Sri Lanka, um Lastwagen und Tuk-Tuks zu fotografieren, deren Oberflächen vollständig von handgemalten Bildern, Ornamenten und Schriftzügen bedeckt sind. Diese mobile Kunst zeigt sich in regionalen Unterschieden: In Pakistan sind Trucks oft mit geschwungenen Holzaufsätzen versehen, die wie Kronen wirken, während in Sri Lanka Tuk-Tuks Motive von religiösen Symbolen bis hin zu Figuren wie Batmans Joker tragen. In Indien finden sich häufig romantische Szenen oder Bollywood-Referenzen. Jede Gestaltung wird so zu einer Mischung aus persönlichem Ausdruck und öffentlichem Statement. Neben dekorativen Elementen übernehmen die Fahrzeuge auch kommunikative Funktionen: Schriftzüge fordern andere Verkehrsteilnehmer zum Hupen auf oder transportieren gesellschaftliche Botschaften wie die Förderung der Mädchenbildung. Dabei sind Formensprache, Farben und Typografie hochgradig individuell und spiegeln die Identität ihrer Besitzer wider.

Die technische Dimension dieser Straßenkunst liegt in der improvisierten Nutzung sämtlicher Fahrzeugoberflächen – von Stoßstangen über Türen bis hin zu Windschutzscheiben. Diese durchgängige Gestaltung erfordert spezifische Lackier- und Handwerkstechniken, die meist von spezialisierten Werkstätten umgesetzt werden. Doch diese Fertigkeiten geraten zunehmend in Gefahr. Einerseits verdrängen billige, industriell gefertigte Aufkleber und Dekorsets die aufwendige Handarbeit, andererseits setzen Regulierungen mancher Länder Grenzen für die künstlerische Ausgestaltung der Fahrzeuge. Herwigs Werk versteht sich daher nicht nur als fotografische Bestandsaufnahme, sondern auch als Dokumentation einer bedrohten Kulturtechnik.

Das Buch „Trucks and Tuks“ erscheint beim Verlag FUEL, ergänzt durch eine Einleitung der Autorin Riya Raagini und ein Nachwort des Fotografen selbst. Es liefert ein visuelles Archiv einer Kunstform, die für viele Fahrer nicht nur Dekoration, sondern auch Tagebuch, politisches Sprachrohr und identitätsstiftendes Symbol ist. Damit trägt Herwig dazu bei, eine Tradition festzuhalten, die bald von den Straßen Südasiens verschwinden könnte.

Fotos: Christopher Herwig/Text: Rainer Roßbach